"Soziologische Infrastrukturen" - Zukünftige Daseinsvorsorge der Öffentlichen Hand / Planungen und Durchführungen aufgrund empirischer, unabhängiger und ehrlicher Analyse der Gegenwart ...
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger in Ravensburg, Oberschwaben und darüber hinaus,
in meinem gestrigen Artikel zur "Sozialen Infrastruktur" in Städten, Gemeinden und Wohnquartieren habe ich versucht zu beschreiben, was gerade auch in meinem persönlichen Wohnquartier vonstatten geht, mit der Vermutung, dass es anderswo ähnlich ist. Bei meinen Überlegungen und Recherchen bin ich allerdings auf ein viel weitreichenderes Thema gestoßen, dass mit dem obigen zwar verbunden ist, aber den Begriff "Sozial" mit dem des "Soziologischen" austauscht. Dabei geht es um Grundsätzliches - nämlich um die Daseinsvorsorge der Bürger/innen und Bürger in allen Lebensbereichen, welche primäre Aufgabe des Staates und seiner verlängerten Arme bis hinab in die kleinste Kommune ist.
Die "soziologischen Infrastrukturen" - um die es im Folgenden geht - greifen das obige Thema auf und führen es weiter. Wer sich mit diesem Thema befasst wird erkennen, an was es in unserer Gesellschaft mangelt und was getan werden muss oder sollte, damit eine effektive Planung für die Zukunft möglich ist, um die Mängel abzustellen. Nur eine gründliche und ehrliche und damit auch unabhängige Analyse und/oder Diagnose kann zu einer wirklich hilfreichen Therapie führen.
Wenn ich diesbezüglich an "meine" Kommune denke, dann sehe ich das eine mehr oder weniger konzeptionslose Vorgehensweise.
Die im Folgenden gemachten Ausführungen, sind das Ergebnis vielfacher Recherchen und in mancher Hinsicht thesenhaft zu verstehen, wobei ich mich insbesondere auf eine Quelle beziehe, die ich am Ende des Artikels angebe.
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Bei dem Thema "Soziologische Infrastrukturen" ist es hilfreich einer auf vier Punkte/Säulen aufgeteilten Konzeption derselben zu folgen, die da wären:
- infrastrukturellen Vorleistungen,
- der infrastrukturellen Sozialität,
- dem infrastrukturellen Regelwerk und der
- infrastrukturellen Verräumlichung
Aus der soziologischen Perspektive ist es äußerst wichtig, dass sich das, was Infrastrukturen (Busanbindungen, Parkplätze, Erholungspark, Existenz eines Krakenhauses vor Ort ...) gesellschaftlich leisten sollen und was von ihnen gesellschaftlich gemäß der empirisch nachgewiesenen Bedarfe erwartet wird, sich auch dann durch die anschließende politische Umsetzung in reale Projekte deckt. Leider bleibt es oft bei "Versprechungen" oder zerfahrene unzufriedene Umsetzung.
Die erste Säule der Infrastrukturen sind die "infrastrukturelle Vorleistungen". Mit anderen Worten: Infrastrukturen stellen sicher, dass sie von den Bürger/innen gebraucht werden können, wenn sie benötigt werden. So, wie der Kunde in den Supermarkt geht, weil er Seife benötigt und nur ins Regal greifen braucht, um sie zu erhalten. Er muss sie also nicht erst bei seinem Supermarkt bestellen.
Es werden also im Vorfeld "Gleise verlegt", damit der Bürger zukünftiges "Reisen" und Handeln umgehend ermöglicht wird. Vorleistungen geben damit auch vor, wie etwas bewältigt werden kann. Auf diese Weise werden bestimmte Handlungen unterstützt und andere erschwert. Veranschaulichen lässt sich dies - um im Bild zu bleiben - auch anhand eines anderen Beispiels. Wird eine Reise in eine beliebige Stadt geplant, kann dafür der PKW/SUV, die Bahn (DB) oder das Flugzeug genutzt werden. Entscheidend dabei ist, dass unabhängig davon, ob die Reise auch angetreten wird oder nicht, oder auch egal welche Art und Weise zum Reisen ausgewählt wird ---> alle Bewältigungsmöglichkeiten zu Verfügung stehen.
Es gelten darüber hinaus Vorgaben, die sich aus den einzelnen Bewältigungsmöglichkeiten ergeben. Wird das Auto für die Reise ausgewählt, braucht es einen Führerschein und der Fahrer muss sich an die Straßenverkehrsordnung halten. Steigt jemand in in die Bahn - DB oder BOB - braucht er eine gültige Fahrkarte und muss sich dem Fahrplan anpassen Dafür ist er respektive das Individuum zuständig. - Wird aber der auswärtige Autofahrer damit umworben, in eine bestimmte Stadt zum Shoppen zu kommen, müssen auch gute und günstige Parkplätze vorhanden sein. , respektive muss auch ein Flugplatz in der Nähe sein. Dadurch werden bestimmte Handlungen erleichtert oder beschränkt.
Infrastrukturelle Vorleistungen können aus ganz Unterschiedlichem bestehen. Sie können bestimmte Güter und Ausstattungen bereitstellen, Versorgungsleistungen - auch die medizinische - gewährleisten oder benötigtes Wissen zugänglich machen. Es handelt sich um Güter, Dienste und Gelegenheiten für die anerkannt ist, dass sie weder vom Einzelnen noch von seinem sozialen Umfeld selbst zu erstellen sind, welche aber durch den Staat und die Öffentliche Hand gesichert sein müssen, damit die Individuen an der Gesellschaft teilhaben können oder das soziale Feld seine Aufgaben erfüllen kann.
Ob nun die individuellen oder die staatlichen Vorleistungen - gemeinsam ist ihnen, dass sie bestimmte Formen des sozialen Handelns fördern, dazu verpflichten oder drängen. Durch diese Eigenschaft entlasten Infrastrukturen davon, das Handeln immer wieder aufeinander abzustimmen. Es geht hier um die Daseinsvorsorge.
Nach dem deutschen Staats- und Verwaltungsrechtler Ernst Forsthoff, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich auf die Entwicklung und Formung des Begriffs "Daseinsvorsorge" einwirkte, bezeichnet diese die Verantwortung für die Schaffung und Aufrechterhaltung allgemeiner Lebensumstände, die in einer Gesellschaft als mehr oder weniger elementare Basis der Lebenserhaltung definiert werden. Im Übergang vom Industrie- zum Wohlfahrtsstaat wurde Daseinsvorsorge zu seiner Hauptaufgabe erklärt. Eben durch staatliche Bereitstellung und Betreibung von Infrastrukturen und Institutionen die - wie schon erwähnt - Verantwortung für die Daseinsvorsorge seiner Bürger*innen zu übernehmen. So soll jeder Mensch unter anderem über fließendes Wasser und Strom, Zugang zu ärztlicher Versorgung, Zugang zu Lebensmittelversorgung, Anbindung an Verkehrsnetze sowie Zugang zu Kulturangeboten und (besonders schulischer) Bildung verfügen.
Das Konzept von Daseinsvorsorge ist mit den Werten und Idealen von Gerechtigkeit, Chancengleichheit, sozialer Integration und gesellschaftlicher Teilhabe eng verbunden. Die Einbettung eines Jeden in umfassende Strukturen soll die moderne differenzierte Gesellschaft eines Staates „einen“, indem bei den Bedürfnissen des Individuums angesetzt wird. Demgegenüber kann Daseinsvorsorge auch für individuelle und ökonomische Abhängigkeit, Einschränkung und Kontrolle stehen. Wie weit Daseinsvorsorge gehen soll und wie weit der Staat Verantwortung dafür zu tragen hat, ist eine Streitfrage.
Infrastrukturen geben folglich Strukturen vor, wie z.B. ärztliche Versorgungseinrichtungen oder Verkehrssysteme. Daraus ergibt sich ihre sozialintegrative und vergesellschaftende Wirkungsweise, da sie gesellschaftliche Teilhabechancen bereitstellen und darauf ausgerichtet sind, gesellschaftlich gesetzte Ansprüche und Erwartungen zu realisieren. Daraus folgt ein weiterer Aspekt der Vorleistungen. Es resultiert, dass sie bestimmte Handlungsweisen vorschreiben und somit das Handeln strukturieren. Beispielsweise hat man/frau sich bei ärztlicher Hilfe in einer Praxis zu begeben, die Krankenkassenkarte vorzuzeigen und sich als Patient zu verhalten. Diese Art und Weise Handlungen zu strukturieren, lässt sich als Habitualisierung (siehe Abbild unten)
Infrastrukturelle Sozialität
Infrastrukturelle Sozialität meint, dass Infrastrukturen ein bestimmtes Verständnis von Sozialität in sich tragen. Die Sozialität, die von den Infrastrukturen ausgeht, ist äußerst vielfältig. Dies ergibt sich aus den sozialen Wechselwirkungen. In diesem Kontext ist gemeint, dass Infrastrukturen die sozialen Wechselwirkungen kanalisieren, dass daraus eine bestimmte Art der Sozialität entsteht.
Das Verständnis der Sozialität von Infrastrukturen zeigt jedoch einen Wandel. Dieser besteht darin, dass ehemals von kleineren sozialen Gruppen betriebene Infrastrukturen von größeren sozialen Einheiten übernommen und in übergeordnete Regelstrukturen eingebunden wurden. Daraus resultiert eine veränderte Art der infrastrukturellen Sozialität. Beispielsweise bedingt ein großer Supermarkt in einer Großstadt eine andere Sozialität, wie ein kleiner Dorfladen, indem sich die Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Kund/innen auf einer ganz anderen Ebene bewegt. Die Richtung der Entwicklung der infrastrukturellen Sozialität auf eine unpersönlichere und abstraktere Sozialität zu beschränken ist jedoch nicht gesellschaftsfördernd.
- Es lassen sich bei der Entwicklung der infrastrukturellen Sozialität aber auch gegenläufige Prozesse beobachten. Beispielsweise schließen sich Bewohner/innen in Dörfern häufiger zusammen, um Infrastrukturen selbst zu betreiben.
Die Sozialität der Infrastruktur korrespondiert mit den infrastrukturellen Vorleistungen. Bei Infrastrukturen mit einer persönlicheren Sozialität werden die Vorleistungen beispielsweise häufig auf die Bedarfe (nicht "Bedürfnisse") der Nutzer/innen abgestimmt. Ist die Sozialität formeller, werden die infrastrukturellen Vorleistungen standardisiert erbracht.
Die drei Zugangsregeln für Infrastrukturen sind
- die Erstellungsreglen und
- Vorhaltungsregeln und
- die Gebrauchsregeln.
Die ersten beiden Regeln richten sich vorwiegend an die Betreiber/innen während sich die dritte Regel hauptsächlich an Nutzer/innen richtet.
Zugangsregeln
Der Zugang und der Zugriff auf Infrastrukturen, ist mit formellen und informellen Regeln verbunden. Die Zugänglichkeit kann dabei inklusiv oder exklusiv gestaltet sein. Es gibt einige Infrastrukturen, für welche ein Großteil der Menschen die Zugangsregeln erfüllen kann, aber auch Infrastrukturen, für die nur wenige Menschen die Zugangsvoraussetzungen erfüllen können. In der Zugänglichkeit wird auch das Verständnis der Sozialität der Infrastruktur deutlich. Als formelle Zugangsregeln zählen beispielsweise der Fahrkartenkauf in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auch der Vertragsabschluss bei einem Mobilfunkanbieter, wenn man/frau auf das Mobilfunknetz zugreifen möchte. Als Beispiele für informelle Zugangsregeln (ungeschriebene aber gesellschaftlich anerkannte Regeln), ist z.B. ein Vertrauensverhältnis, welches einem Menschen Zugang verschafft oder eine herausgehobene Position, welche zum Beispiel Kontakte verschafft oder viel Macht gibt. Vitamin B ... Zum Beispiel, dass Bebauungsregeln und/oder Umweltregeln von gewissen Bürger/innen nicht eingehalten werden brauchen, weil sie eben entsprechende Connections haben.
Erstellungs- und Vorhaltungsregeln
Diese Art von Regel gibt Vorgaben darüber, welche Vorleistungen zu erbringen sind, in welcher Qualität und Quantität und wie sie zu erzeugen sind. Diese Regel kontrolliert den Ablauf und die Rahmenbedingungen der Infrastrukturen. Beispielsweise muss bei öffentlichen Verkehrsmitteln geregelt sein, wie oft und auf welcher Strecke diese fahren, welche Ausstattung und Kapazität sie haben und noch vieles mehr. Zu den informellen Regeln zählen beispielsweise Wünsche und Erwartungen einzelner Personen, oder die Bevorzugung einzelner Stammkunden in Dorfläden.
Gebrauchsregeln
Unter Gebrauchsregeln sind Vorschriften gemeint, welche die Nutzung von Infrastrukturen regeln. Damit richten sich diese Regeln an den Nutzer der jeweiligen Infrastruktur. Mit ihnen wird die Umgangsweise mit den Infrastrukturen und somit auch das Handeln der Nutzer normiert. Damit sind die Gebrauchsregeln wichtig zur Regelung sozialen Handelns. Zu formellen Regeln kann man/frau zum Beispiel das Verbot von Alkohol in öffentlichen Verkehrsmitteln rechnen. Die formellen Gebrauchsregeln werden von den informellen Regeln ergänzt oder teilweise auch relativiert. Es können alle Regeln als informell gesehen werden, welche nicht festgeschrieben sind, aber trotzdem gesellschaftlich anerkannt und verbreitet sind und festlegen was sich gehört und was nicht. Gesellschaftliche Konventionen. So sollte man/frau/jugend sich in den öffentlichen Verkehrsmitteln so verhalten, dass sich andere Fahrgäste nicht gestört fühlen.
Die formalen Regeln des infrastrukturellen Regelwerks sind als Ordnungen und Gesetze in rechtsverbindlichen Texten festgelegt. Somit kann das infrastrukturelle Regelwerk als ein Produkt professionellen Handelns der "Infrastrukteur/innen" gesehen werden. Sie sind die Verantwortlichen für die Planung, Entstehung und den Betrieb von Infrastrukturen. Somit sind diese Spezialist/innen auch für die Festlegung des Regelwerkes verantwortlich. Die Infrastrukteur/innen bilden eine wichtige Trägergruppe innerhalb der Sozialstruktur. Wenn sie versagen, kommt es zum gesellschaftlichen Chaos.
Infrastruktureller Verräumlichung bedeutet, dass diese verbinden - und somit soziale Wechselwirkungen und Austausch- und Kommunikationsprozesse begünstigen und ermöglichen. Es gibt drei Grundqualitäten infrastruktureller Verräumlichung:
- raumbildende,
- raumüberwindende und
- überräumliche Infrastrukturen.
Raumbildende Infrastrukturen markieren einen Raum und konstituieren Grenzen mit Hilfe von räumlicher Fixierung und Lokalisierung. Durch den festgelegten Raum gruppieren sich bestimmte soziale Beziehungsformen und die Infrastruktur wird ein „Drehpunkt“ hierfür. Fälschlicherweise werden oft die Gebäude (z.B. Schule, Kirche) als Infrastrukturen bezeichnet. Jedoch sind die Gebäude selbst keine Infrastrukturen, sondern nur Ergebnis der räumlichen Fixierung der Vorleistungen, Sozialität und Regelwerke.
Raumüberwindende Infrastrukturen stellen Vorleistungen, die Austausch- und Kommunikationsprozesse über größere Distanzen hinweg dar. Ganz klassisch kann man/frau dazu die Nutzung von Zügen, Flugzeugen oder anderen Transportmitteln oder den Paketversand und die Post zählen. Diese Infrastrukturen wurden und werden geschaffen, um Orte zu verbinden und um größere soziale Einheiten zu schaffen. Mit raumüberwindenden Infrastrukturen wird infrastrukturelle Sozialität ohne unmittelbare Anwesenheit der Beteiligten möglich.
Überräumliche Infrastrukturen bieten die Voraussetzung für Austausch- und Kommunikationsprozesse, welche sich gleichzeitig über jeden Raum erstrecken. Sie basieren damit auf einer sehr abstrakten infrastrukturellen Sozialität. Durch die Erstreckung über jeden Raum können überräumliche Infrastrukturen als sehr inklusiv bezeichnet werden, was bedeutet, dass die Zugangs- und Gebrauchsregeln meist von fast jeder Person erfüllt werden können. Diese Infrastrukturen bezwingen gleichermaßen die Raum- und die Zeitdimension. Als eine der wichtigsten überräumlichen Infrastrukturen unserer Zeit ist das Internet wichtig zu nennen. Es kann prinzipiell überall, zu jeder Zeit und von jeder Person genutzt werden.
In summa kann man/frau hier von dem so genannten sachlich formulierten "infrastrukturellen Regime" sprechen. Mit ihm soll ausgedrückt werden, dass Infrastrukturen sozial strukturiert und ebenso selbst Ergebnis sozialer Prozesse und Strukturen sind. Außerdem können Infrastrukturen auch eine sozialstrukturierende Wirkung haben.
- Eine wichtige Besonderheit von Infrastrukturen ist dabei, dass sie nicht nur in der Gegenwart sozial strukturierend wirken, sondern auch „Weichensteller für die Zukunft“ sind, indem sie auf zukünftige Entwicklungen vorbereiten.
Analysen über den Wandel des infrastrukturellen Regimes zu soziologischen Gesellschaftsanalyse eignen sich hervorragend als Planung für die Zukunft. Nur wer die Diagnose kennt, kann auch die wirklich wirksame Therapie durchführen. Nur dieses Vorgehen hat das Potential, eine soziologische Tür für die Zukunft zu öffnen.
Barlösius, E. (2019): Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste. Ein Beitrag zur Gesellschaftsanalyse. Frankfurt/New York.
Van Laak, Dirk (2020): Das infrastrukturelle Regime der Wissensgesellschaft. http