Climate goes prison - Regierung von Schwaben (Bayern) bleibt straffrei
Um ein ganzes Jahr (12 Monate) konnte Klimaaktivist* Charlie Kiehne (21) mit einer Waldbesetzung - zusammen mit weiteren Klimaaktivist*innen und Anwohner*innen - die Rodung des Eichenwalds beim Ulmer Uniklinikum verzögern [1,2,3]. Bis im Januar vergangenen Jahres ein Spezialeinsatzkommando der Polizei das Baumhausdorf räumte [4,5,6,7], konnte der Eichenwald so weiterhin CO2 binden, das Mikroklima abkühlen und Regengüsse aufnehmen. Für eine Protestaktion zu einem anderen Wald, dem Lohwald bei Biberbach und Langweid, tritt Kiehne nun zur Strafe diese Woche die Haft an.
- Anlässlich der Inhaftierung findet am 5. März im Sauschdall
- (Prittwitzstr. 36, 89073 Ulm) um 19:30 Uhr eine Sondervorführung des
- Dokumentarfilms über Kiehnes zweitem Zuhause, der Besetzung im Altdorfer
- Wald, statt.
▸ Gemeinden auf Seite der Klimaaktivist*innen
"Es wäre eigennützig, sich nur für die Wälder vor der Haustür
einzusetzen", erklärt Kiehne, selbst in Ulm geboren und aufgewachsen,
das Engagement für den Erhalt des Lohwaldes. Als es um die Durchführung
einer Protestaktion ging, folgte Kiehne daher der Bitte um Unterstützung
aus Augsburg -- laut Kiehne zusammen mit Ravensburg eine von Ulms zwei
"aktivistischen Partnerstädten".
An der Rodung des Lohwalds war das angrenzende Stahlwerk interessiert,
das zur ökonomischen Aufwertung des Betriebsgeländes Raum für
potenzielle Expansionspläne suchte [8,9,10]. "In Zeiten der Klimakrise
einen Wald für klimaschädliche Technologie zu roden: Das geht gar
nicht", fand Kiehne. Anders als beim Ulmer Eichenwald, waren die
angrenzenden Gemeinden auf Kiehnes Seite -- und reichten beim höchsten
zuständigen Verwaltungsgericht, dem Verwaltungsgerichtshof in München,
Normenkontrollklage gegen die Rodungspläne ein. Zusätzlich klagt auch
der BUND-Naturschutz.
Laut Kiehne mit guten Erfolgsaussichten, denn nach Art. 9 des
Bayerischen Waldgesetzes ist Bannwaldrodung nur dann zulässig, wenn
"zwingende Gründe des öffentlichen Wohls es erfordern"; zudem bedeutet
der Lohwald für die Anwohner*innen Schutz vor den Lärm- und
Schadstoffemissionen des angrenzenden Stahlwerks. Auch in ähnlich
gelagerten Fällen hob der Bayerische Verwaltungsgerichtshof
Genehmigungen zur Bannwaldrodung immer wieder auf [22,23] und
Aktivist*innen feierten vor Gericht Siege auf ganzer Linie [24].
▸ Bannwaldrodung trotz schwebender gerichtlicher
Rechtswidrigkeitsprüfung
Während der Verwaltungsgerichtshof noch mit der Rechtswidrigkeitsprüfung
des Rodungsvorhabens beschäftigt war, öffnete die Regierung von Schwaben
allerdings mit einer Ausnahmegenehmigung der vorgezogenen Rodung Tür und Tor. Weniger als zwei Wochen vergingen zwischen Antragstellung und
-bestätigung; die Stahlwerke mussten nur eine Routineverwaltungsgebühr
in Höhe von 250 Euro zahlen [20, Seite 4]. Mit der im Anschluss in aller
Frühe an einem Samstagmorgen durchgeführten Teilrodung des Lohwalds zogen die Stahlwerke überregionale Kritik auf sich [8,9,10].
Samuel Bosch "Löwenherz" trotzt den bayerischen Wappenlöwen und muss dafür in Arrest. - Foto: Klimaaktivii (c)
"Der Rechtsstaat versagt beim Waldschutz immer wieder", attestiert
Kiehne. In der Tat ist die Rechtswidrigkeitsprüfung immer noch anhängig.
Darauf wollte Kiehne mitsamt Mitstreiter*innen aufmerksam machen -- und
befestigte im Rahmen einer Kletteraktion Banner mit den Aufschriften
"Lohwald-Rodung trotz laufender Gerichtsverfahren genehmigen? Frech!"
und "Den Lohwald für 250 € verhökern? Frech!" an der Fassade der
Regierung von Schwaben. Mit Erfolg: Zahlreiche überregionale Medien
berichteten so über den Vorfall [11,12,13,14,15] sowie über die Prozesse
gegen die insgesamt drei Angeklagten [16,17,18,19].
▸ Landgericht: Meinungsäußerung nicht von der Versammlungsfreiheit
gedeckt
Das Augsburger Landgericht sah diese Meinungsäußerung indes nicht von
der Versammlungsfreiheit gedeckt und verurteilte Kiehne zu einer Woche
Haft (Jugendarrest). Für drei Wochen inhaftiert wird der ebenfalls um
den Ulmer Eichenwald engagierte Samuel Bosch (21). Strafverteidiger
Klaus Schulz findet die Vorgänge verwunderlich: "Dass das Landgericht
Augsburg zwei junge Menschen ohne relevante Voreintragungen zu Arrest
verurteilt, ist absolut unverständlich und ungewöhnlich, so dass ich die
erzieherischen Gründe gerne in der Urteilsbegründung nachvollzogen
hätte. In der Verhandlung gab es von Seiten des Landgerichts zwar viele
Emotionen und persönliche Meinungen, wie Aktivismus auszusehen hätte,
aber leider wenig sachliche Erklärung."
"Ich da oben - ihr da unten!" - Doch nicht mehr lange, denn die Räumung durch den Staat erfolgte kurz danach. - Foto: Klimaaktivii (c)
▸ Referenzen
[1]
https://www.augsburger-allgeme
[2]
https://www.regio-tv.de/mediat
[3]
https://www.ardmediathek.de/vi
[4]
https://www.swr.de/swraktuell/
[5]
https://www.swp.de/lokales/ulm
[6]
https://www.freefm.de/artikel/
[7]
https://www.regio-tv.de/mediat
[8]
https://www.br.de/nachrichten/
[9]
https://www.br.de/nachrichten/
[10]
https://www.forumaugsburg.de/s
[11]
https://www.augsburger-allgeme
[12]
https://www.augsburg.tv/mediat
[13]
https://www.sueddeutsche.de/ba
[14]
https://www.zeit.de/news/2022-
[15] https://www.daz-augsburg.de/90
[16]
https://www.swr.de/swraktuell/
[17]
https://www.kontextwochenzeitu
[18]
https://www.augsburger-allgeme
[19]
https://www.sueddeutsche.de/ba
[20] https://www.lohwibleibt.de/fre
[21]
https://classic-ravensburg.kli
[22]
https://www.sueddeutsche.de/mu
[23]
https://www.br.de/nachrichten/
[24]
https://www.sueddeutsche.de/mu
▸ Hinweise
Charlie Kiehne und Samuel Bosch sind, im Einklang mit früherer
Berichterstattung, mit der Nennung ihrer vollen Namen einverstanden.
Kiehne ist nichtbinär, bevorzugtes Pronomen "mensch".
Kiehne tritt die Haft Ende der laufenden Woche an. Haftantritt von
Samuel Bosch ist der 14.3. 9:00 Uhr, voraussichtliche Haftentlassung
4.4. 9:00 Uhr. Die Haftstrafe wird jeweils in der Jugendarrestanstalt
Göppingen vollstreckt.
Kiehne und Bosch leben seit mehr als zwei Jahren im rodungsbedrohten
Altdorfer Wald bei Ravensburg. Zusammen mit anderen Klimaaktivist*innen
sowie Anwohner*innen errichteten sie dort nach dem Vorbild der
erfolgreichen Besetzung des Hambacher Walds mehrere Baumhausdörfer.
Bosch und Kiehne kommen zentral in dem Dokumentarfilm
„Von Menschen, die auf Bäume steigen“
der Berliner Regisseure Bernadette Hauke und
Christian Fussenegger vor. Eine Sondervorführung dieses Films findet am
5.3.2024 um 19:30 Uhr im Sauschdall (Prittwitzstr. 36, 89073 Ulm) statt,
der Eintritt ist frei. Dort ist auch der direkte Kontakt zu den
Filmemacher*innen und den Protagonist*innen möglich. Die Schwäbische
Zeitung veröffentlichte eine ausführliche Rezension der ausgebuchten
Erstaufführungen [21].