Ohne Panik aufklären, intern und so weit als möglich ohne Öffentlichkeit, das war Ende des vergangenen Jahres das Vorhaben des Friedrichshafener Oberbürgermeisters Andreas Brand, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender des städtischen Klinikums. Aber selbstverständlich: Ein simples Weitermachen nach dem Suizid der Oberärztin Elke K. am 30. November vergangenen Jahres verbot sich aufgrund der Todesumstände und der Empörung darüber.
Die unter Kollegen beliebte Medizinerin starb an dem Tag, an dem sie erfuhr, dass sie fristlos gekündigt werden sollte.
Zuvor hatte sie teilweise minutiös angebliche Missstände in der Patientenversorgung dokumentiert, auch Todesfälle, und intern Abhilfe gefordert. Zum Beispiel in Form einer Gefährdungsanzeige gegenüber der Klinik-Geschäftsführung und zwei Chefärzten am 3. September 2023.
Einer ihrer Vorwürfe: Assistenzärzte im Schichtdienst der Intensivstation seien nach einer viel zu kurzen Einarbeitungszeit eingesetzt worden. Die Oberärztin beschrieb tagebuchartig und detailliert angebliche fatale Folgen für hilfebedürftige Patienten.
Mit der vom Aufsichtsrat angestrebten Wiedererlangung des Hausfriedens und der Stille ist es gründlicher denn je vorbei, seit die Staatsanwaltschaft Ravensburg am 7. März Kriminalbeamte der Ermittlungsgruppe „Cura“ zur Klinik losschickte, um Akten und Daten sicherzustellen.
Kurz zuvor war ein Ermittlungsverfahren gegen zunächst fünf Ärztinnen und Ärzte der Klinik eingeleitet worden. Es werde „wegen des Verdachts ärztlicher Fehlbehandlungen ermittelt. Hierbei kommen die Tatbestände der Körperverletzung, unterlassenen Hilfeleistung und fahrlässigen Tötung in Betracht“, so die Ermittlungsbehörde. Zum aktuellen „Anfangsverdacht“ gegen die Mediziner gehöre auch Abrechnungsbetrug.
Chef von der Leitung entbundenAm Dienstag dieser Woche tagte nun erneut der städtische Aufsichtsrat, dabei fiel der Beschluss, einen Chefarzt, mit dem Elke K. besonders im Streit gelegen haben soll, für die Dauer der „internen Untersuchung“ zu beurlauben. Er gehört zu den Medizinern, die jetzt im Fokus der Ermittlungsbehörden stehen. Schon am 10. Januar war der Mann laut Pressemitteilung von seiner Leitungsfunktion entbunden worden, doch was nicht verlautbart wurde, war, dass er dennoch weiteroperierte. Dieser Zustand ließ sich seit dieser Woche nicht mehr halten.
Abweichungen vom Fahrplan des Aufsichtsrats gab es schon zuvor. Die beauftragte Frankfurter Kanzlei Feigen Graf, spezialisiert auf die Aufklärung interner Prozesse, verschob ihren zunächst auf Ende März avisierten Abschlussbericht, der auch enthalten soll, was Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in vielen Einzelgesprächen über das Innenleben der Klinik berichten, auf den Frühsommer.
Im Juli, so die Vorgabe des Aufsichtsrats, muss aber alles fertig sein, denn dann endet laut Klinik-Mitteilung die „aktuelle Legislaturperiode“.
Am 9. Juni wählt Friedrichshafen für die nächsten fünf Jahre 40 Gemeinderäte, dazu rund drei Dutzend Ortschaftsräte. Was die bisherigen Kommunalpolitiker im Klinik-Aufsichtsrat noch rasch beschließen wollen oder können, bevor einige möglicherweise aus dem Amt scheiden, ist fraglich. Das Gremium wird schwerlich den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft entlastend vorgreifen können; diese wiederum kündigte an, nun zunächst Fachmediziner zur Begutachtung verdächtiger Behandlungsfälle im Krankenhaus zuzuziehen. Die Beweiserhebung dürfte noch Monate dauern.
Anwalt von toter Oberärztin: „Einzelheiten haben bei mir Grauen erzeugt“Für Detlef Kröger, Anwalt der Oberärztin bis zu ihrem Tod und seither durch deren Familie mit der weitestmöglichen Aufklärung der Vorgänge beauftragt, ist der Versuch der Selbstreinigung durch die Stadt Friedrichshafen „jetzt schon gescheitert“. Den Juli-Termin hält Kröger für Wunschdenken. „Wir stehen immer noch am Anfang der Aufklärung.“ Er sieht aufgrund der Dokumentation der Oberärztin „fünf bisher verschwiegene Fälle von fahrlässiger Tötung“.
Die Einzelheiten ihrer Vorwürfe zu lesen „hat bei mir Grauen erzeugt“. Die Klinik-Leitung kennt diese Dokumentationen, sieht sie aber weiterhin durch ein Auftragsgutachten eines Spezialisten der Universitätsklinik Leipzig vom 25. September 2023 entkräftet. Auf dieses Gutachten verweist auch ein Anwalt, der den beurlaubten Chefarzt vertritt. Darüber hinaus möchte sich der Anwalt nicht zu einzelnen Vorwürfen gegen seinen Mandanten äußern.
Die 47-jährige Elke K. wird in dem Gutachten als „Jung-Oberärztin“ bezeichnet, die eine „massive Pflichtverletzung durch Sammeln von Fällen mit Komplikationen“ begangen habe. Eine eitle Medizinerin, dieser Schluss entsteht beim Lesen, machte die Raritäten der Wirklichkeit zur Wirklichkeit selbst. Auf Anfrage unserer Zeitung betonte eine Klinik-Sprecherin am Donnerstag: Auch für die anderen Mediziner, gegen die die Staatsanwaltschaft Ravensburg derzeit ermittelt, „gilt uneingeschränkt die Unschuldsvermutung“. Gleichwohl sei dieser Personenkreis – vorläufig befristet bis zum 19. Juli – „vom Dienst am Patienten freigestellt“.
Sanierer sind im HausWas immer noch geschieht in Friedrichshafen, das langjährige Defizit der Klinik dürfte weiter wachsen. Im vergangenen Jahr lag es bei mehr als 19 Millionen Euro. Längst berichten örtliche Hausärzte, dass misstrauische Patienten sich der Einweisung verweigern. Die Gehälter der fünf vorübergehend freigestellten Mediziner müssen aufgrund der geltenden Unschuldsvermutung weitergezahlt werden.
Dazu kommen Rechtskosten für die interne Compliance-Untersuchung und weitere Rechtsberater des Klinikums. Eine Sprecherin teilt allein zu letzterem Posten mit: „Gegenwärtig kalkuliert das Klinikum mit einem möglichen Gesamtaufwand zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Euro.“
Ein Chefarzt ist zumindest vorläufig weg, mehrere kommunale Aufseher der Stadt womöglich ab Juli – und auch die Geschäftsführung könnte entschwunden sein, bevor klar ist, was im Krankenhaus Friedrichshafen wirklich geschah. Schon im vergangenen Sommer hat sich der Gemeinderat entschieden, das Management des Krankenhauses an einen externen Dienstleister zu geben. Seit Herbst schon im Haus: Sanierer der Sana AG.
Das Original zu diesem Beitrag "Anwalt von toter Oberärztin in Chaos-Klinik am Bodensee: „Hat Grauen erzeugt“ stammt von STUTTGARTER ZEITUNG.